Walter Gotschke (* 14. Oktober 1912 in Bennisch; † 28. August 2000 in Rangendingen) war ein deutscher Grafiker, Pressezeichner und Automobil-Illustrator,
der weltweit berühmt wurde durch seine Grand Prix-Rennillustrationen.


Kindheit und Jugend

Walter Gotschke wurde am 14. Oktober 1912 als sechstes von sieben Kindern eines Huf- und Wagenschmiedemeisters in Bennisch (Horní Benešov) im damaligen Österreichisch-Schlesien, dem kleinsten Kronland der k.u.k. Monarchie, geboren. Soweit er zurück denken konnte, hatte er immer wie besessen gezeichnet. Im Alter von 10 Jahren lösten, fasziniert von den ersten Automobilen, die er in seinem kleinen Städtchen zu sehen bekam, Autoskizzen seine anfängliche zeichnerische Liebe zu den Tieren seiner ländlichen Umgebung ab. Alles geschah rein spielerisch, ohne die Verfolgung eines Zwecks, aus reiner Neugier und Faszination an der neu auftauchenden Technik, dem Automobil. Es gab ja nur wenige damals. In Bennisch eins, später ein zweites, ein drittes... Oft wartete er außerorts an der Landstraße, während er am Wegrain die Ziege hütete, sehnsüchtig auf eine Staubwolke weit drüben am Waldrand. Das Zeichen, dass ein Auto nahte. Wenn dann ein besonderes daherkam, ein sehr gepflegtes, Chrom und Lack blitzten nur so, mit Chauffeur und Herrschaften an Bord, zweiter Windschutzscheibe und Drahtspeichenrädern, lief er nach Hause, um es frisch aus dem Gedächtnis zu zeichnen.

Bis zu seinem Studium in der großen Stadt mit ihrem unentgeltlichen Zeitschriftenangebot in den Caféhäusern hatte er keine Abbildung eines Automobils gesehen, erst hier erfuhr er ihre Namen. Zwischen 1928 und 1932 studierte er Architektur, Hochbau und Ingenieurswissenschaften an der Baufachschule/Bautechnik in Brünn (Brno) – aus Verlegenheit, auf der Suche nach einem zeichnerischen Beruf.

1931 gewann er den vom tschechischen Automobilclub ausgeschriebenen Plakatwettbewerb für den vor den Toren Brünns stattfindenden Masaryk-Grand Prix. Jetzt trug er die Clubbinde mit der er überall Zutritt hatte. Jetzt konnte er die gesamte Rennprominenz aus nächster Nähe beobachten, ihre Rennwagen aus nächster Nähe betrachten. Für Walter Gotschke ein visuelles Abenteuer ohnegleichen. Und dies bis 1937 Jahr für Jahr. Am Ende hatte sich der ganze Modellwechsel zweier Epochen fest in sein Gedächtnis gebrannt, auch kannte er Körperhaltung und Fahrstil eines jeden Rennfahrers ganz genau.

Obwohl die Brünner Rennjahre für ihn fast schicksalhafte Bedeutung hatten, waren sie vorerst nur Erlebnis, mit gelegentlichen kleinen Veröffentlichungen seiner Rennskizzen in der Tageszeitung. Über zwei Jahrzehnte später erst sollten sie und die ganze Materie ihren künstlerischen Niederschlag finden. Vorerst hatte Gebrauchsgrafik Vorrang als soziales und fachliches Fundament. Auch brannte ihm die Dringlichkeit, für seinen Unterhalt selbst aufzukommen, unter den Nägeln. Zwei Jahre zuvor war urplötzlich sein noch junger Vater gestorben und seither wurde er von Mäzenen seiner Heimatstadt Bennisch, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, unbemittelten, aber begabten Jungen zu helfen, unterstützt. »Da hatten wir überhaupt keine Existenz mehr – mein ältester Bruder, der Erbe, die Hoffnung – , die Hoffnung – , war ja schon weg. Gefallen noch kurz vor Ende des 1. Weltkriegs. Mein Vater hatte ja eigentlich ganz gut verdient und Ersparnisse gehabt – doch durch die Kriegsanleihen ist ja alles aufgefressen worden. Die Kriegsanleihen, das war die größte Katastrophe. Und die Versorgungsnot. Es wurde ja alles im Schleichhandel verschoben. Also wenn ich daran denke, an die ganze Kindheit und Jugend, da graust's mir ja dermaßen. Diese Armut und Unwissenheit. Da wunder' ich mich nur, dass ich überhaupt was geworden bin.« 

1933 nach Abschluss seines Hochbau-Studiums machte sich Walter Gotschke in Brünn als Werbegrafiker selbstständig. »Ich arbeitete keinen einzigen Tag in meinem erlernten Beruf – ich hatte nur Zeichnen im Kopf«. Und Nichte Trude fügt hinzu: »In der Familie galt er ja als verrückt. Da hat man ihm dieses Studium ermöglicht, und dann schmiss er alles hin. Und am Ende heiratete er noch eine Professorentochter!«  Einer seiner Hauptkunden war Bata-Reifen, sein 'Entdecker' und Förderer Meister Rudolf Kohl, ein weit über die Stadtgrenzen Brünns hinaus bekannter Fotograf und Inhaber einer Feinbuchbinderwerkstätte.

In seinem, nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg und dem Zerfall des Kaisertums Österreich-Ungarn 1918 zu Deutschösterreich mutierten Heimatlandes, welches schon ein Jahr darauf gegen den Willen seiner deutschen Bevölkerung in die ebenfalls neu gegründete Tschechoslowakei eingegliedert wurde, entwickelte sich die politische Lage für die Deutschen immer unerträglicher und die wachsenden Autonomiebestrebungen der Sudetendeutschen ließen die internen Spannungen immer brisanter werden. Im März 1938, nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich, wurde die Sudetenfrage zum Brennpunkt der europäischen Politik.

Genau zu dem Zeitpunkt, im April, 'flüchtete' Walter Gotschke aus der Tschechoslowakei (als jetzt tschechischer Staatsbürger wäre er bei einer Mobilmachung, die in der Luft lag, zur tschechischen Armee einberufen worden) nach Deutschland, unternahm eine Berufs-Orientierungs-Rundreise und noch vor der Besetzung der Tschechoslowakei durch die deutschen Truppen Anfang Oktober, landete er am 1. Juni 1938 mit einem Monatsgehalt von 300 RM in der Werbeabteilung von Daimler-Benz in Stuttgart, dem Ziel seiner heimlichen Träume. »Ja und dann bin ich natürlich jetzt täglich ins Büro gegangen, in die Werbezentrale. Und da war gar kein Platz für mich. Da hab' ich mich an so einen Ablagetisch gesetzt. Im Hotel hab' ich die Plakate gemacht... Und dann habe ich einen Antrag gestellt, dass ich in der Firma ein Zimmer bekäme, einen Arbeitstisch und eine Staffelei. Das ist dann in der Firmentischlerei angefertigt worden. Oih je, das war damals – , das war ja damals alles primitiv – Jesses – «  Sein Aufgabengebiet umfasste Technische Zeichnungen, Prospekte und Anzeigen für Flug- und Schiffsmotoren. Nach Feierabend entstanden, zuerst in seinem Hotelzimmer, dann in seiner kleinen Wohnung, die heute von Automobiliasammlern sehr begehrten Mercedes-Benz Siegerplakate. Es waren die siegreichen Jahre der Silberpfeile. »Es wurden Flugrekorde aufgestellt, Weltrekorde gefahren, Zuverlässsigkeits- und Geländefahrten gewonnen und über allem die Siege von Rudolf Caracciola, Hermann Lang und Manfred von Brauchitsch auf den Rennstrecken der Welt«, erinnert sich Walter Gotschke. »Manchmal lag schon frühmorgens um 5 Uhr ein brüllender Sound über der Stadt. Da liefen die Rennmotoren in Untertürkheim auf dem Prüfstand fauchend in allen Drehzahlen, bevor sie verladen wurden und auf die Reise gingen.«  Ende 1939 heiratete er die Professorentochter Erika Krohmer (* 18. Juli 1915) aus Brünn, die er zu sich nach Stuttgart holte. 1940 gewann er den firmeninternen Kalenderwettbewerb, wobei er bei der Ausführung desselben mit Gouachefarben (jede Seite war ein gemaltes Motiv) zu seiner Maltechnik fand, die er bis an das Ende seines produktiven Lebens beibehielt.


Kriegsjahre

Nach 1940 wurde durch die Kriegsereignisse die Werbetätigkeit bei Daimler-Benz gedrosselt, bei Walter Gotschke weitete sich sein Betätigungsfeld für kriegspropagandistische Verlagsprodukte aus, so dass er sich Anfang März 1941 wiederum selbstständig machte. Prompt wurde er zur Deutschen Wehrmacht eingezogen, wo er von Juli bis Oktober 1941 als Soldat der Propaganda-Kompanie im Auftrag der Zeitschrift 'Signal' im Osten ein Panzerregiment bis nach Moskau begleitete, um zeichnerisch darüber zu berichten (O-Ton). Damals glaubte man noch an einen kurzen schnellen Sieg der Deutschen Armee über die Russische. 1942 erhielt er den Karl-Schnebel-Preis für die beste Kriegs-Pressezeichnung des Jahres.

Nachdem seine Ostfrontberichte längst ihren Weg durch die Presse genommen hatten, stand Walter Gotschke Ende 1942 qualm- und rauchumhüllt im Kriegshafen von Toulon in Südfrankreich und zeichnete die brennenden und explodierenden Schiffe, die die Franzosen selbst zerstörten, damit sie nicht in deutsche Hände fielen. Sein zeichnerischer Auftrag führte ihn Anfang 1943 die ganze Mittelmeerküste entlang, so unter anderem nach Marseille, wo neben der Demontage der französischen Flotte auch die 'Säuberung der Altstadt' unter seinen Zeichenstift kam. Gemessen am Osteinsatz war dieser Beobachtungsposten in Südfrankreich relativ ungefährlich, so dass die Soldaten Ausflüge in die nähere Umgebung unternehmen durften, die Côte d'Azur entlang bis Monte Carlo.

Der Geburtstag des Führers am 20. April jeden Jahres war immer ein besonders festlicher Tag. So auch im Jahre 1943. Gemeinsam mit dem OKH war der A. Daehler-Verlag in Berlin auf die Idee gekommen, in einer Mappe einige der besten Gotschke-Originalzeichnungen vom Russlandfeldzug dem Führer zu überreichen. »Wo ist der Künstler?« entfuhr es Hitler. Daran hatte natürlich niemand gedacht – aber sofort wurde eine Depesche losgeschickt und Walter Gotschke zurückgeordert.

Die sich verschärfenden kriegerischen Ereignisse verhinderten ein Treffen mit dem Führer. Walter Gotschke wurde von Generaloberst Guderian empfangen und gleich dabehalten, wo er auf den Panzertruppenschulen ein neues Betätigungsfeld erhielt.

Seine Frau Erika hatte inzwischen am 27. Juli 1943 Stuttgart als besonders luftgefährdetes Gebiet verlassen dürfen und war mit den Kindern Helga Ulrike (* 8. September 1941) und Karin Ingeborg (* 18. Januar 1943) bei Verwandten in Karlsthal (Sudetengau) evakuiert, wo sie ab Oktober vom Landkreis Freudenthal einen Räumungs-Familienunterhalt von monatlich RM 447,70 erhielt. Mitte Januar 1945 starben hier die Kinder an einer Rauchvergiftung, als eines Abends im Schlafzimmer hinter dem Kaminofen zum Trocknen aufgeschichtetes feuchtes Holz zu schwelen begann. Erika erhielt die Erlaubnis zu ihrem Mann in die Kaserne nach Potsdam-Krampnitz fahren zu dürfen.

Kurz nach ihrer Ankunft wurde Walter Gotschkes Einheit nach dem Süden verlegt, nach Landeck. Es war eine abenteuerliche Reise durch zerbombtes Gebiet, in Lastautos mit Plane, zu Fuß des Nachts und – ab Bamberg – mit dem Zug. Seine Frau Erika immer dabei, unauffällig, von den Soldaten verdeckt, unter den Sitzen versteckt – –

Ende März passierten von Bayern her französische und amerikanische Truppen die Grenzen zum Vorarlberg und Tirol. In Landeck erfuhren die in Hotels untergebrachten Soldaten vom Tode Roosevelts und dass Hitler gefallen sei – sie wussten, der Krieg ist verloren und warteten nur noch auf ihre Gefangennahme. Erika Gotschke machte sich auf die Suche nach einer Unterkunft, in der sie und ihr Mann sich später wiedertreffen könnten. Diese Unterkunft fand sie auf der Wand oberhalb des 30 Kilometer entfernt liegenden Dorfes Pfunds. Nach einem Besuch bei seiner Frau blieb Walter Gotschke einfach da, desertierte sozusagen, meldete sich aber später bei einer schwäbischen Infanterie-Einheit, die in Pfunds stationierte. Er half den Bauern den Lawinenschutt wegzuräumen und hütete ihre Kühe. Seine ersten Kuh- und Bergskizzen entstanden, die später in der Tiroler Tageszeitung veröffentlicht wurden. Vorerst ging es noch nach Bayern in die amerikanische Gefangenschaft. »Man hätte nicht einmal in einer Felsspalte verschwinden können, sie fanden einen überall.«  Als versprengter Truppenteil wurde er der durchziehenden, auf dem Rückzug befindlichen, Italienarmee zugeschlagen. Nach kurzer Einquartierung in die Scheune eines Bauernhauses durfte er als heimatloser Volksdeutscher aus der Tschechoslowakei nach Tirol zurückkehren, wo er seine Tätigkeit als Kuhhirte wieder aufnahm.

Der Auto-Autodidakt

Ab Sommer 1945 begann für Walter Gotschke das Leben neu. Wieder kamen die Tiere des ländlichen Alltags unter seinen Zeichenstift. Durch Illustrationen in Zeitungen und Zeitschriften begann er bekannt zu werden und bekam Aufträge als Grafiker bei Firmen und Verlagen. Auf seinen nach Arbeit suchenden Wegen begegnete er Matejko und Stuck und Porsche. »Nach St.Anton waren ja viele deutsche Prominente geflüchtet – alle hatten keine Existenz mehr, alle versuchten irgendwie ein paar Mark zu verdienen – – « Der Cisitalia kam unter seinen Pinsel und der erste Porsche aus Gmünd. Sein Kundenweg führte ihn von Innsbruck bis Bregenz. Und in Bregenz begegneten ihm zum ersten Mal die 'Amerikaner', die Buick, die Cadillac und Dodge. »Und dann '46, das weiß ich allerdings genau, '46 sah ich die aktuellen 'Amerikaner', den Buick eight... Also, da war ich platt. Nein sowas von – , sowas Tolles. Die warn eigentlich ganz normal, die Autos. Aber die Blechkrümmungen, die waren so vollkommen. Die waren so fabelhaft. so fantastisch, das war reine Geometrie. – Ein Ei und eine Kartoffel, die in der Größe und in der Form einander gleichen, aber der Unterschied ist ungeheuer. Die Kartoffel ist eine hässliche Sache und das Ei eine vollkommene. Und das sah ich hier zum ersten Mal, und konnt' es mir selbst nicht erklärn. Und das ist ja das Problem, das ich dargestellt hab' – so richtig verstanden hat das aber keiner.« (AQ Vol 6 No 4, 1968)  Im Rinnstein ist er gelegen, um sie sich von allen Seiten genau anzusehen. Ein neues Element war in sein Leben getreten: das des Autostylings, das ihn jahrzehntelang beschäftigen sollte.

Von der Wand war er längst weg, bewohnte ein kleines Atelier im Stubaital, seine Frau hatte ihm Renata Angelica, das 'wiedergeborene Engelchen' (* 19. Februar 1946) geschenkt, als Daimler-Benz ihn 1946 wiederfand und bald darauf nach Stuttgart rief. Er war jetzt 37 Jahre alt und wähnte sich zum ersten Mal in seinem Leben sesshaft. Die Straßen zwischen den Ruinen waren leer und die wenigen Autos erweckten die selben Sehnsüchte wie in dem zwölfjährigen Jungen 25 Jahre zuvor. Aber diesmal war Walter Gotschke zeichnerisch gerüstet und konnte eine atemberaubende Produktivität entfalten. Seine Mercedes-Kataloge der ersten 50er Jahre erzielen heute bei Auktionen Preise, wie man sie nur von Kunstbüchern kennt.

Die wenigen Menschen, die der Krieg verschont hatte, fanden wieder zusammen. Walter Gotschke traf den Rennsportfotografen Corrado Millanta und den Redakteur Heinz-Ulrich Wieselmann, beide Mitarbeiter der Zeitschrift 'das Auto' (später 'das Auto Motor und Sport'). Wie schon in Österreich bei dem Autofachmagazin 'Austro Motor' zierten jetzt Gotschke-Zeichnungen und -Gemälde die Titelseiten. Doch nicht nur das. Initiiert durch hitzige abendliche Diskussionen bei den Wieselmanns erschien 1951 Walter Gotschkes Artikel 'Automobilarchitektur – Eine fast zu späte Betrachtung der Formprobleme im Automobilbau', dessen Inhalt bis Ende der 50er Jahre in heftigen Kontroversen mit der Leserschaft in dieser Zeitschrift ausgetragen wurde und bis in die Autodesignstudios Amerikas hinüberschwappte. Dieser eigentlich ganz allgemein-sachliche Artikel pikierte den Vorsitzenden des Vorstandes der Daimler Benz AG, Dr. Ing. Wilhelm Haspel, der die Einstellung seiner Firma an der Formgebung in der Öffentlichkeit kritisiert fand, derart, dass daraufhin Walter Gotschke von DB die Aufträge entzogen wurden. »... dass Sie als freischaffender Künstler wie jeder andere auch das Recht zur freien Meinungsäußerung haben... Wir möchten Ihnen aber nicht zumuten, aus Erwerbsgründen gegen Ihre innere Einstellung arbeiten zu müssen.« W. Haspel, 11. Juni 1951 an Walter Gotschke.

Im durch den Krieg zerstörten Stuttgart war Wohnraum knapp. Bis in die 60er Jahre hinein war eine Mietwohnung (außer durch Beziehungen und Fördermaßnahmen) nur mit Leistung eines verlorenen Baukostenzuschusses zu bekommen. Walter Gotschke war der Zuzug nach Deutschland nur unter Nachweis von Arbeit und Wohnung gestattet worden, so hatte er die Verpflichtung eines sehr hohen Baukostenzuschusses zur Herrichtung eines zerbombten Zweifamilienhauses auf sich genommen. Außerdem war er frischer Führerscheininhaber und Autobesitzer, und die Wechsel für seinen Mercedes 170 D mussten pünktlich beglichen werden. Walter Gotschke war von einer sicheren finanziellen Basis durch Aufträge von Daimler-Benz ausgegangen, die ihm jetzt schlagartig entzogen war.

Aber der wirtschaftliche Aufschwung in den ersten Nachkriegsjahrzehnten bescherte ihm bald neue Aufträge. 1952 meldete sich Ford Deutschland, die für das neukonzipierte Taunus M-Modell einen Illustrator für ihre Werbemittel suchten. Fallweise arbeitete Gotschke außerdem für Schenk-Anhänger, MAN Nutzfahrzeuge, Klöckner-Humboldt-Deutz, Kässbohrer, Shell, Gulf Benzol, Maybach, Goodyear, Austin, Ford England, Fiat, Nissan, Marwitz-Brillen, Volkswagen, Clymer Publications und andere. »In dieser Zeit arbeitete ich wie ein Besessener. In wenigen Tagen zog ich einen 30-Seiten-Katalog durch. Nach fünf Stunden Schlaf war ich wieder hellwach.« Was damals entstand, sind heute kleine Zeitdokumente. Das Auto wurde als Begleiter des Menschen bei der Arbeit und in der Freizeit dargestellt, es wurde in eine Beziehung gesetzt zum Menschen, zur Landschaft, zur Architektur. Seine Bilder leben, sie sprühen vor Lebenslust.

An Wochenenden ging es mit der Familie im Auto hinaus ins »Grüne«, die Familienbilder hielten Einzug in seine Werbeprospekte. Ganz besonders aber freute sich Walter Gotschke auf Regentage am Wochenande – die erlaubten ihm, wieder Autos zu zeichnen: aus dem Gedächtnis heraus holte er jene Rennen aufs Papier, die ihn als jungen Menschen faszinierten – und jetzt, mit dem inzwischen erworbenem zeichnerischen Können, gehorchten ihm Pinsel und Farbe. Soweit es seine Termine erlaubten, besuchte Walter Gotschke Automobil-Rennen, denen er dann auch Regenwochenende widmete. Aus diesem Hobby ging – nachdem ab Mitte 1960 in der Werbung die Zeichnung der Fotografie weichen musste – sein letzter 'Beruf' – »Würde man mich nach meinem Beruf fragen – ich wüsste nicht, was ich darauf antworten sollte« – hervor, wo Aktuelles und Historisches bis zu den Anfängen des Automobilsports unter seiner Hand lebendig wurde und in Magazinen wie Motor-Revue, ams, Sports-Illustrated, Quattroroute, Road&Track, Automobile Quarterly und anderen in die Welt hinausgetragen wurde.

Das Verlagshonorar aber war nicht vergleichbar mit seinen Einnahmen durch Werbeaufträge, so dass seine Frau Erika, nach langen Jahren des Hausherrinnen-Daseins, 1965 beschloss, mit ihrer noch 1940 erworbenen Abschlussprüfung als Lehrerin für das Lehramt an höheren Schulen, die finanzielle Lebensbasis der Familie zu sichern: das Haus mit dem hohen verlorenen Baukostenzuschuss war inzwischen erworben worden und musste abgezahlt werden, und die Kinder Angelica und Wolfgang (am 17. Februar 1955 hatte sie Ihrem Mann noch einen Sohn geschenkt) waren in Ausbildung...

1976 starb Erika Gotschke an Magenkrebs, den man lange nicht erkannte, und als er diagnostiziert wurde, waren es nur noch wenige Monate bis zu ihrem Tod. Für Walter Gotschke ein nicht geringer Schock. Tochter Angelica lebte verheiratet in Norddeutschland und Sohn Wolfgang war auf dem Wege zu seinem Studium ins Art Center nach Pasadena / USA. Plötzlich stand Walter Gotschke ganz alleine da. Zum ersten Mal erntete er die Pflaumen seines Gartens und brachte sie zum Schnapsbrenner. Er intensivierte die Hundespaziergänge mit seiner Nichte Gerhild Drücker, geb. Klenner (geboren am 19. Februar 1938 in Neisse/Oberschlesien, durch Vertreibung 1945 in Westdeutschland gelandet), mit der er schon immer regen Kontakt hatte und der er Anfang der 70er Jahre neben seiner Frau auf dem 1956 Stuttgart-Bild ein Denkmal setzte. Nach und nach schlüpfte Gerhild in die Rolle seiner verstorbenen Frau: Sie begleitete ihn zu Autorennen und zu seinen Auftraggebern, nahm ihm die Korrespondenz ab und erledigte seine Büroarbeiten.

1981 heirateten sie. Walter Gotschke fühlte sich geborgen und das Auto ergriff wieder Besitz von ihm. Zu seinen publizistischen Arbeiten traten jetzt auch in Deutschland Ausstellungen, er wurde Mitglied der 'Automotive Fine Art Society' (AFAS) in den USA, vermehrt meldeten sich Autokunstsammler. Wieder war Walter Gotschke in seinem Element. Für die verschiedensten Anlässe lebte unter seinem Pinsel das Renngeschehen erneut auf, bis ihn 1984 auf der Höhe seines Schaffens das Schicksal ereilte. Gerade vom Dallas Grand Prix zurück und im Begriff eine Publikation 'Hundert Jahre Mercedes' abzuschließen, begannen Sehstörungen sein rechtes Auge zu irritieren. Das linke war schon vor Jahren durch einen leichten Schlaganfall erblindet. Das folgende Jahr verbrachte er fast ganz in Kliniken, wo man sein Augenlicht nicht retten konnte.

Anfang 1990 zog er mit seiner zweiten Frau aufs Land, wo er nach einem trotz allem glücklichen Lebensabend am 28. August 2000 seine Augen für immer schloss. Aus ländlicher Stille kommend, in die er im Alter wieder zurückkehrte, und wo es damals zu seiner Zeit mit Autos nicht weit her war, hatte er sich ausgerechnet mit dem Auto einen Traumberuf geschaffen.Sein künstlerisches Lebenswerk wird heute von seiner zweiten Ehefrau, Gerhild Drücker-Gotschke, verwaltet.

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Walter Gotschke Biografie© gotschke-art